Dienstag, 18. Februar 2014
Reality
Ich kannte mich nie besonders gut mit Fotografie aus. Also, das heißt, ich kann auf den Auslöser einer Kamera drücken. Ich weiß, dass man Personen nicht an den Knien "abschneiden" sollte, wenn man sie fotografiert. Ich kann schöne Bilder von ungünstigen unterscheiden. Aber ich würde nie behaupten, ich wäre im Schießen von Fotos talentiert oder irgendwie übermäßig begabt.

Dass er während des Spazierganges die Kamera plötzlich auf mich richtete und ein gezieltes Mal abdrückte, kam unerwartet. Ich dachte bis dahin eher, er steht auf Landschaftsaufnahmen; Menschen zu fotografieren ist doch nochmal eine andere Herausforderung als etwas, das immer still hält... "Natur kann doch jeder fotografieren." würde er später zu mir sagen...

Ich bin nicht besonders fotogen. Mitunter sehe ich aus wie ein Monster aus den Tiefen von Freuds Seele, wenn man mich im falschen Moment erwischt. Dementsprechend muss wohl mein Blick in der ersten Sekunde ausgesehen haben, nachdem er mich fotografierte.

"Was? Ich möchte ein paar Fotos von dir machen!", sagte er mit einem Lächeln.

- "Machst du das öfter?"

"Nein, nur manchmal auf Feiern. Willst du mal sehen?" Er zeigt mir ein paar Aufnahmen, die er auf verschiedenen Familienfeiern von seiner Familie geschossen hat. Feine Details, deren Zusammenstellung von Perfektion singen, ein scharf umrissener Fokus, immer da, wo er sein soll, elegant eingesetzte Unschärfe... "Wow...." begann ich. "...Wie lange machst du das schon?"
"Och, ein paar Jahre."
- "Eher nach Gefühl oder richtig mit Wissen?"
"Ich würde meinen, ich habe mehr gelesen, als viele Fotografen." Er grinste mich an.

- "Na gut, okay. Aber keine doofen Schnappschüsse!" sagte ich schließlich grinsend und wir gingen weiter.
- "Soll ich irgendwas Bestimmtes machen?" fragte ich.
"Du sollst das tun, was du eigentlich dein ganzes Leben lang tun solltest: Lächeln."
Dieser alte Poet. Ich grintse, schüttelte innerlich amüsiert den Kopf und fing irgendein Gespräch mit ihm an. Während wir so durch den Park schlenderten und uns über dies und jenes unerhielten, schoss er immer mal ein paar Fotos von mir, wie ich eine Ente mit Berot füttere, wie ich über den See blicke, wie ich mich verträumt vor dem schönen Schloss gegen einen Baum lehne...Und nebenbei führe er das Gespräch mit mir weiter. Ironisch dachte ich in mir: "Ich dachte immer, ihr Männer habt's nicht so mit Multitasking..."
Ich blickte auf seine feinen Hände, die die unglaublich große und schwere Kamera halten, sein "Eisenschwein", und musste für einen Moment an den Sex mit ihm denken. "Woran denkst du?" unterbrach er meine Gedanken. Ich schüttelte nur grinsend den Kopf und blickte weiter über den See.

Zu Hause sah ich mir die Fotos an, die besten mittlerweile noch ein wenig bearbeitet.
"Oh mein Gott, das ist unglaublich...."sagte ich nur.
Ich ließ meinen Blick über die Gesichtszüge eines Portraits gleiten, verglich es in Gedanken mit meinem Spiegelbild. Ich betrachtete die langen schwarzbraunen Haare, die weit bis über die Schultern fallen, die astrein gerade Nase, die vollen Lippen und die ausladenden Wangen, die ich schon als Teenager viel zu dick fand. Dies ist definitiv das beste Portrait von mir, das es gibt.
"Ich lasse es drucken und besorge noch einen Bilderrahmen.", sagte er und küsste meine Schulter. Ich dachte daran, dass mich die ganze Situation an irgendetwas erinnert und hatte plötzlich das Bedürfnis, ihn festzuhalten und nie wieder loszulassen. Mit einem langen Ausatmen fiel ich ihn um den Hals. "Du bist unglaublich." sagte ich immer wieder.

"Einfach unglaublich. - Und ich bin froh, dass du nun meine Wirklichkeit bist."



Und so wiederholt sich die Geschichte
Ich hatte heute irgendwie ein Déjà-vu, als ich erfahren habe, wie die Freundin eines Bekannten sich von ihm getrennt hat, weil sie (zumindest allem Anschein nach, was ihr Herumgedruckse so ergeben hat) ihn mit einem fast 40-Jährigen betrogen hat.... Das Ganze hatte sich wohl auch schon länger angebahnt und sie hat es auch gemerkt, aber nichts dagegen unternommen und ihrem Freund auch nichts davon erzählt.

Letztendlich war die Begründung für die Trennung (also bevor das mit dem Fremdgehen herauskam), dass sie kein Herzklopfen mehr empfindet, wenn sie bei ihrem Freund ist. Na ja, dies ist vielleicht nach über 3 Jahren Beziehung auch nicht allzu verwunderlich, aber wahrscheinlich muss sie es erst noch lernen, dass das Herzklopfen auch bei jedem anderen irgendwann an Intensität verliert.

Das ist nun schon der dritte im Bunde der "Hintergangenen".... ;) Zumindest kann ich mit meinen Erfahrungen ein paar gute Ratschläge geben und ein paar tröstende Worte spenden, denn ich weiß nur zu gut, dass man irgendwann aus diesem Loch wieder heraus kommt, auch wenn es sich im ersten Moment wie das Ende einer Sackgasse anfühlt.
Und ich bin froh, dass mein Bekannter einen wirklich guten Freund und Zuhörer hat, der sich nun alle Mühe gibt, ihn aufzufangen und wieder etwas aufzuheitern - nämlich meinen Freund. Deswegen bin ich guter Dinge, dass auch er letztlich wieder auf der Sonnenseite des Lebens landet. Ich drücke ihm die Daumen.



Mittwoch, 9. Oktober 2013
Repetition
Es ist wirklich seltsam, welche Wege das Leben mitunter geht.

Ich habe mich lange hier nicht blicken lassen, hatte ziemlich viel mit und in meinem Leben zu tun. Die Trennung von Liza ist nun über ein Jahr her, am 28.08.2012 habe ich die Nachricht erhalten und mein Leben hat sich komplett gewandelt.
Dann war da die Schottlandreise mit einigen Grenzerfahrungen...Ich erinnere mich an meinen Geburtstag, der so schön verlaufen war. Am 29.02. schrieb ich sturzbesoffen vom Smartphone eines Typen aus, den ich zu dem Zeitpunkt zweimal gesehen hatte, irgendeine Person seiner Kontaktliste mit "Hey Schatz!" an, der seit dem 01.03. bis heute mein Freund ist.
Ich denke daran, wie ich am 12.03.2013 nach Wiesbaden fuhr und erst am 31.05. wieder in der Heimat war. Dann war da die Operation mit den langen Nachwirkungen, nur einen Monat später fing ich wieder ein Praktikum an. Und das bringt mich schon an den Punkt, wo ich heute stehe. Mitten im Leben, mit einer schier unglaublich perfekten Beziehung (und damit meine ich nicht dieses dämlich-romantische "perfekt" im Sinne von nie streiten, sondern das richtige "perfekt" mit dem richtigen Maß an Harmonie und Disharmonie), die wichtigsten Punkte im Studium äußerst erfolgreich abgearbeitet, ständig gestresst, aber zufrieden mit allem, wie es so ist.

Und nun passiert folgendes.

Ich hatte vor einiger Zeit mal etwas über meine Freundin Jane und ihren Freund geschrieben. Es ist immernoch unbegreiflich und ich tue mich schwer, es aufzuschreiben, weil es dann irgendwie noch mehr an Realität gewinnt, aber ihr ist mit genau diesem Mann das Gleiche passiert wie mir vor einem Jahr.
Ich hatte noch so schön geschrieben, wie romantisch es ist, dass er noch nie eine Freundin hatte...Tatsächlich hatte er sie angelogen und bereits einige halbjährige Beziehungen hinter sich.
Er hat sie betrogen. Er ist nach Fuerteventura gefahren und hat dort besoffen irgendein Mädchen in einer Ecke auf einer Party gefickt und es Jane ein halbes Jahr lang verschrieben. Er hat sie fast ganz aus seinem Leben herausgenommen und als sie bohrte, was denn nun der Grund sei, kamen alle möglichen Ausreden mit "Bindungsstörung" und "ein Leben, das nur auf den Grundtrieben Essen, Schlafen, Sex basiert"...und letztlich eben das Fremdgehen. Zum Sex sei es nur einmal gekommen, ansonsten "nur" knutschen und fummeln. Er habe es verschwiegen, weil er dachte, es sei nicht so wichtig.

Und es ist so absurd, nun von außen all die Phasen zu sehen, die Jane durchmacht und die ich in exakt der gleichen Weise vor einem Jahr durchgemacht habe.
Ich sehe, wie sie zwischen Wut, Trauer, Sehnsucht, Einsamkeit, Erleichterung, Hoffnung und Hoffnungslosigkeit hin- und hergeschaukelt wird. Wie sie es jeden Tag erst gegen 13 Uhr überhaupt aus dem Bett schafft - wenn sie es schafft. Keine Lust, irgendwas zu machen, einfach schlafen, nicht mehr duschen, Sachen nicht mehr wechseln. Ihrer Arbeit geht sie momentan nicht nach, für jeden Behördengang braucht sie Begleitung, weil sie es sonst einfach nicht macht, sie isst nicht, bewegt sich kaum..
Das erinnert mich unweigerlich an mich vor einem Jahr. Ich habe damals meine beste Freundin eingebüßt, die gerade zu dem Zeitpunkt frisch verliebt war und mir jedes Mal von ihrem Schatzi erzählte, bis ich ihr irgendwann sagte, es tue mir leid, aber ich könne es nicht mehr hören im Moment. Wir haben heute keinen Kontakt mehr.
Meine Mitbewohnerin musste mich jeden Tag aus dem Bett ziehen und zum Essen zwingen, das Gleiche, was ich und andere heute bei Jane machen.
Dann dieses Gefühl, nie wieder einem Menschen auch nur Ansatzweise vertrauen zu können. Dass keine Beziehung je wieder Sinn machen wird...Davon berichtet mir Jane oft.

In einer Sache sind sich die Situationen auch erschreckend ähnlich: Meine Ex meinte damals, sie nimmt sich jetzt eine Woche Zeit, um herauszufinden, ob sie die Beziehung noch möchte, was ich damals wie heute total arrogant finde. Ich meine, wenn jemand schon fremd geht, kann er froh sein, wenn der andere ihn mit dem Arsch noch anschaut! Und er hat überhaupt nicht das Recht, zu entscheiden, wie irgendwas weiter geht, sondern soll gefälligst abwarten, was der verletzte Teil sagt! Und ich dachte, meine Ex ist was das betrifft die mit Abstand größte Abartigkeit, die man sich vorstellen kann, aber Janes (Ex-)Freund sagte nun leider genau das Gleiche. Anstatt es dem anderen so leicht wie möglich zu machen und seine Konsequenzen aus der Sache zu ziehen, wird der andere hingehalten und darf noch wochenlang auf heißen Kohlen sitzend auf den Arsch warten. Das ist wirklich nicht fair.
Natürlich gibt einem so ein Ausrutscher zu denken, aber da kann man doch gleich sagen, man trennt sich erstmal und wenn es einem drei Monate später einfällt, dass man den anderen doch noch will, hat man halt Pech gehabt und muss die Konsequenzen aus seinen Fehlern ziehen!
Es ist so unfair, dass Jane nun dasitzt und hofft, dass ihr Ex nur keinen Zugang zu seinen Gefühlen hat.

Und dieses ständige Ausbrechen in Tränen...

Na ja, nun weiß ich, wie sich damals die anderen gefühlt haben. Irgendwie hilflos. Man möchte, so gut man kann, unterstützen, kann aber nur trösten, noch nicht mal Ratschläge geben, und schauen, dass er andere sich wenigstens hin und wieder mal was Gutes tut im Sinne von Essen und Duschen.
Was ich nun auch weiß: Der Zustand hält nicht ewig an. Auch wenn es einem in dem Moment nicht so vorkommt, irgendwann geht wieder die Sonne auf. Irgendwann kann man wieder lachen. Und irgendwann kann man auch wieder vertrauen.

Wie auch immer die Situation ausgeht...Ich hoffe so für sie, dass dieser Punkt schnell kommt. Und dass sie ihre Kränkungswut effektiver und schneller abbauen kann als ich.



Montag, 24. Juni 2013
Dehospitalisiert
Heute ist der erste Tag seit Monaten, wo ich mal wieder darüber nachgedacht habe, mich selbst zu verletzen... Nicht so, dass ich es ernsthaft versucht hätte, aber zumindest habe ich darüber nachgedacht.

Anlass war Folgendes: Ich habe vor einigen Tagen wieder akute Schmerzen in beiden Brüsten bekommen. Diese Brustschmerzen hatte ich bereits vor einem Monat, bevor mir die Eierstocksyste entfernt wurde. Nach der OP sind sie verschwunden und plötzlich traten sie wieder auf, so schlimm, dass ich keinen Bügel-BH mehr anziehen kann. Zusammengenommen mit dem Fakt, dass mir vor 2 Tagen einen Tag lang ganz akut der linke Eierstock weh tat, der nicht operiert wurde (!) bekam ich es mit der Angst zu tun, dass dort irgendwas übersehen wurde oder sich nach der OP gebildet hat...
Meine Frauenärztin ist immer noch im Urlaub und ich dachte, es ist besser, in die Frauenklinik zu gehen, wo ich behandelt wurde, als zur Vertretungsärztin, die mich noch nie im Leben gesehen hat und null Informationen zu mir hat.
Als ich jedoch in der Frauenklinik ankam und meine Sorgen hervorbrachte, wurde ich von einem Arzt und einer Schwester 5 Minuten lang nieder gemacht, für wen ich mich halte, dort einfach aufzukreuzen, dass die Brüste mit dem Eierstock gar nichts zu tun haben und was ich denke, was sie denn da jetzt machen sollen. Sie schnauzten mich an, dass ich wenn dann nur mit Überweisungsschein kommen kann und dann auch nur zur Brustsprechstunde Dienstag und Freitag und ob ich das nicht weiß. Tatsächlich wusste ich nichts von alldem. Ich wusste auch nicht, dass man mich mit Schmerzen einfach so wieder auf die Straße setzen kann....Zumindest habe ich es mir in meinem Glauben an eine gerechte Welt einfach anders vorgestellt...

Auf dem Rückweg zum Auto war ich gebeutelt von Traurigkeit, Wut auf das Krankenhauspersonal, Wut auf mich selbst, auf meinen Körper, der mir im Moment nichts als Probleme bereitet...Damit verbunden dann auch die bereits erwähnten automatischen Gedanken an die Selbstverletzung. Vor allem aber war ich wie gelähmt von diesem Ohnmachtsgefühl, dass ich aus dem Krankenhaus geschickt werde, obwohl ich akute Schmerzen habe und nichts dagegen machen kann...
Im Auto brauchte ich 10 Minuten, bis ich allmählich mit Weinen aufhören und nach vorn sehen konnte. Ich rief die Vertretungsärztin an, wo man mir gleich zusicherte, dass ich nur vorbeikommen brauche und dort untersucht werde, dass das kein Problem sei. Also fuhr ich da hin und ließ mich von der älteren, aber recht netten Ärztin untersuchen. Diese nahm mir gleich einen Großteil meiner Angst, indem sie sagte, es kann an der hormonellen Neueinstellung meiner Eierstöcke liegen, es kann aber auch sein, dass tatsächlich etwas gewachsen ist ("Es gibt alles Mögliche auf dieser Welt...") und um das auszuschließen macht sie einen Ultraschall. Das klingt jetzt vielleicht nicht so positiv, aber immerhin verstand mich diese Frau, weil das genau das war, was ich auch dachte...
Der Befund war durchgehend positiv, meine Eierstöcke und die Gebärmutter sehen gut aus und haben sich von der OP gut erholt. Die Ärztin erklärte mir, dass die Brustschmerzen vor der OP davon kamen, dass die Zyste den Eierstock dazu brachte, viel zu viel Östrogen zu produzieren, was die Brüste wachsen und schmerzen lässt. (Aber Eierstöcke haben NICHTS mit den Bürüsten zu tun, klar, liebes Krankenhauspersonal!?) Die OP bewirkte, dass es zu einem schlagartigen Abfall des Östrogenspiegels kam, also Schmerzen weg und Brüste wieder normal groß. Das führte allerdings auch zu einer Alarmreaktion meines Körpers, der das Östrogen erstmal wieder hochregulierte, also kam es wieder zu Brustschmerzen. Sie meinte, in einem Monat hat sich das wieder eingependelt und dann werde ich nichts mehr merken. Nach meiner nächsten Periode soll ich einfach irgendwann mal bei meiner Frauenärztin vorbeischauen und sie nochmal draufschauen lassen, ob alles ok ist, aber es spricht nichts dafür, dass da irgendwas nicht stimmt.

Der Erleichterung, dass mit mir körperlich alles in Ordnung ist, folgte rasch die übermächtige Wut auf die dämlichen Arschgeigen im Krankenhaus, bei denen man am besten mit einem Schreiben ankommt, wo man sich ausdrücklich dafür entschuldigt, dass es sich leider nicht vermeiden ließ, dass sie wegen einem nun tatsächlich arbeiten müssen. Und ich kam einfach nicht über dieses Ohnmachtsgefühl hinweg, diese Hilflosigkeit. Es war zwischenzeitlich so schlimm, dass ich den schier übermächtigen Drang danach hatte, mich zu betrinken, um die Gefühle zu betäuben, was ich aber glücklicherweise nicht gemacht habe. Interessant ist, dass diese Hilflosigkeit bei mir sofort Selbsthass auszulösen scheint. Das wird das Thema der nächsten Therapiestunde.

Fazit der ersten Hälfte des Tages ist allerdings, dass ich nie, nie, nie wieder ein Krankenhaus betreten werde, es sei denn, ich liege halbtot irgendwo herum. Ernsthaft.